Schilddrüse ADIEU ?
Wer sich ein so lebenswichtiges Organ wie die Schilddrüse entfernen lässt, hat wichtige und berechtigte Fragen. Herausgeber Werner Semmler stellt den Schilddrüsen-Operateuren 33 kritische Fragen:
1. Frage:
Warme Knoten, kalte Knoten, Wucherungen, Vergrößerungen, Unterfunktion oder Stoffwechselentgleisung im wichtigen Schmetterlingsorgan: Welche Indikation verlangt eine Schilddrüsenoperation?
Professor Thomusch:
Diese Frage ist so allgemein nicht zu beantworten. Grundsätzlich gilt, dass bei Nachweis oder dringendem Verdacht eines Schilddrüsenkarzinoms die Indikation zur Operation besteht. Weitere unbestrittene OP-Indikationen sind das Vorliegen lokaler Beschwerden wie Schluckbeschwerden oder Atemstörungen aufgrund einer Einengung oder Auslenkung der Luftröhre durch einen großen Kropf.
Daneben gibt es noch eine Vielzahl anderer OP-Indikationen. Hier sind insbesondere funktionelle Störungen z. B. im Rahmen einer Autoimmunthyreoiditis (Autoimmunerkrankung, die zu einer chronischen Entzündung der Schilddrüse mit Funktionsstörungen führt) wie beim Morbus Basedow oder sogenannte Autonomien (Teile des Schilddrüsengewebes werden nicht mehr durch den Regelkreis kontrolliert (Hypothalamus-Hypophyse-Schilddrüse), sodass die Produktion von Schilddrüsenhormonen nicht bedarfsgerecht stattfindet.) aufzuzählen.
Im Gegensatz zum Verdacht auf ein Schilddrüsenmalignom (bösartige Gewebeneubildung) besteht bei den sogenannten heißen Knoten oder Schilddrüsenautonomien auch noch eine Therapiealternative in Form der Radiojodtherapie (orale Einnahme einer Kapsel mit radioaktivem Iod). Hier muss ggf. eine Risiko-Nutzen-Abwägung zwischen möglichen Nebenwirkungen der Therapien (Operation vs. Radiojodtherapie) mit den entsprechenden Ärzten durchgeführt werden. Grundsätzlich ist bei Vorliegen einer Autonomie eine ablative (vollständige Entfernung der Schilddrüse durch Chirurgie oder Radioiod) Therapie indiziert, da langfristig nicht von einer Spontanremission (spontane Heilung) der Grunderkrankung auszugehen ist. Ausnahme bildet hier die Autoimmunthyreoiditis des Typs Morbus Basedow. Hier ist zunächst eine konservative medikamentöse Therapie (Behandlung ohne Operation), ggf. auch mehrfach, indiziert. Hier besteht die Indikation zur Operation oder Radioiodtherapie nur dann, wenn die konservative medikamentöse Therapie nicht erfolgreich die Schilddrüsenüberfunktion hemmen kann oder schwere Nebenwirkungen nach Einnahme der sog. Thyreostatika (Medikamente, die die Ausschüttung von Schilddrüsenhormonen aus der Schilddrüse hemmen) auftreten (z.B. Leberschädigung, Blutbildveränderungen).
Der zweite große Komplex für die Indikation zur Schilddrüsenoperation ist das Wachsen sogenannter kalter Knoten unklarer Dignität (gutartige oder bösartige Gewebsneubildung). Hier sollte entsprechend der Leitlinie zunächst eine zytologische (die Zellen betreffende) Abklärung durch Feinnadelpunktion des Schilddrüsenknotens erfolgen. Diese bringt jedoch keinen definitiven Ausschluss eines Schilddrüsenmalignoms. Insofern bleibt für den Patienten trotz der Punktion immer eine gewisse diagnostische Unsicherheit zurück. In Abhängigkeit von der Patientenanamnese, der Morphologie (Form, Gestalt, Struktur) des Knotens und der Größenprogredienz (Größenzunahme) der suspekten (verdächtigen) Knoten, hier ggf. auch das Auftreten lokaler Beschwerden, sollte zur Klärung der definitiven Histologie (mikroskopische Anatomie) eine entsprechende Schilddrüsenresektion (Entfernung bestimmter Gewebeteile) durchgeführt werden.
2. Frage:
Welche Untersuchungen vor der Entscheidung über eine OP liefern hinreichende Gewissheit für einen so extremen Eingriff?
Professor Thomusch:
Vor Resektion, auch vor einer Teilresektion der Schilddrüse, sollte eine entsprechende präoperative Diagnostik durchgeführt werden. Neben der Sonographie (Ultraschall) der Schilddrüse und der Halsregion ist die zweite wichtige Basisuntersuchung die Schilddrüsenszintigraphie (nuklearmedizinische Untersuchung, bei der radioaktiv markierte Stoffe eingesetzt werden) zum Ausschluss sog. kalter (keine Speicherung des Radionukleotids) und heißer (vermehrte Speicherung des Radionukleotids) Knoten. Als weitere Basisdiagnostik vor Durchführung einer Operation gilt die Bestimmung der Schilddrüsenhormonparameter (durch Blutprobe), hier insbesondere das regulierende Hormon der Hypophyse (TSH) sowie die Bestimmung der peripheren Schilddrüsenhormone fT3 und fT4. Gegebenenfalls müssen auch bei Vorliegen bestimmter Spezialindikationen die Tumormarker für ein medulläres Schilddrüsenkarzinom (CEA und Calcitonin) sowie ggf. verschiedene Autoantikörper zum Ausschluss einer Autoimmunthyreoiditis durch eine einfache venöse Blutprobe untersucht werden (TRAK, MAK, TAK).
Zur Abklärung der Stimmbandfunktion sollten die Patienten vor und nach der Operation noch durch einen HNO-Arzt untersucht werden.
Weitere spezielle Untersuchungen in Bezug auf die Schilddrüse sind nur für Sonderindikationen notwendig. Die weitere präoperative Diagnostik orientiert sich zur Minimierung der perioperativen (vor, während oder kurz nach einem operativen Eingriff) Morbidität, hier insbesondere die Abklärung von Herz-/Kreislauferkrankungen, Lungen‑, Leber- oder Nierenerkrankungen.
Aufgrund des Fortschritts der operativen Technik und der perioperativen Überwachung sowie Narkoseführung in den letzten Jahrzehnten ist die Letalität (Sterblichkeit) aufgrund einer Schilddrüsenoperation nahe 0 % und fast zu 100 % auf Begleiterkrankungen im Rahmen kardiovaskulärer Erkrankungen wie Schlaganfall, Herzinfarkt oder die Ausbildung einer Lungenembolie zurückzuführen.
3. Frage:
Welche Untersuchungsmethoden und modernen Geräte stehen in Ihrer Klinik für die Voruntersuchungen zur Verfügung?
Professor Thomusch:
Das Universitätsklinikum Freiburg als wichtigster medizinischer Maximalversorger im süddeutschen Raum stellt alle Untersuchungsmethoden zur Verfügung. Am Universitätsklinikum Freiburg können im Bedarfsfall spezielle Untersuchungen zur Abklärung herz- und Lungenerkrankungen zur Minimierung des allgemeinen OP-Risikos vor der Operation geplant oder notfalls auch zeitnah durchgeführt werden. Im Normalfall ist ein operativer Eingriff an der Knotenstruma ein Eingriff der Grund- und Regelversorgung mit sehr niedrigem Risiko, der keiner besonderen präoperativen anästhesiologischen Abklärung bedarf. Hier werden lediglich Basisuntersuchungen zur Durchführung der Narkose wie z. B. das normale Blutlabor mit Bestimmung der Leber- und Nierenfunktion, der Blutsalze sowie ggf. noch eine Röntgenuntersuchung der Lunge und ein EKG zum Ausschluss von Herzrhythmusstörungen durchgeführt.
Das vollständige Interview mit weiteren 30 Fragen und Antworten lesen Sie im PDF-Anhang.
Hier sehen Sie das Fernseh-Interview mit Prof. Thomusch
´https://regionalia.de/gesundheitsportal/schilddruesen-experte-professor-dr-oliver-thomusch-im-tv-interview_A11762