Politischer Opportunismus:
Die Meinung der Katalonen und ihre freie Wahl passt Europas Eliten nicht?
Im gegenwärtigen Zeitgeist mangelhafter Toleranz erklären viele, sie achteten die freie Meinung der anderen, aber in der Wirklichkeit akzeptieren sie diese nur, solange die Meinung der Anderen auch ihre eigene Meinung ist. Nicht nur in der Bewertung der ausländischen Politik der Regierungen der USA, Chinas und Russlands erleben wir bei vielen Politikern (und in vielen oberflächlichen Medien) die Zelebration von politischem (egoistischen) Opportunismus. Verurteilt wird, was uns vermeintlich schadet. Das Maß objektiver Gerechtigkeit wird nicht angelegt, wenn ignoriert wird, dass Israel natürlich selbst über seine Hauptstadt bestimmen darf und die Europäer für den Export ihrer Autos geringe Zölle (nur 2%) von den Amerikanern begehren, aber den Import amerikanischer Autos nach Europa mit höheren Zöllen (10%) belegen. Der gleiche Opportunismus wird auch bei der Beurteilung der Krise in Spanien um das Katalonien-Referendum angelegt. Es passt nicht in die explosive Gefahrenlage der europäischen Institutionen und nicht in unsere spanischen Urlaubsträume, wenn die Bevölkerung Kataloniens über ihre staatliche Zugehörigkeit selbst bestimmen will. Also werden Carles Puigdemont und Co. als Separatisten bezeichnet und ihre Handlungen als Rebellion gebrandmarkt. Es wird nicht berücksichtigt, dass es das höchste Recht der Bürger ist, zu bestimmen, welchen Staat sie bilden, welchen sie verlassen oder welchem sie beitreten wollen (siehe DDR, siehe UdSSR, siehe Tschechoslowakei, siehe Baden-Württemberg). Die Staatsbildung kann weder von einer unbekannten Macht verordnet werden, noch kann der gebildete Staat, mit einem faktischen gesetzlichen Demokratieverbot, selbst bestimmen, dass die Staatsbürger nicht frei darüber wählen dürfen, einen anderen Staat zu bilden. In einer wahrhaftigen Demokratie geht alle Macht eines Staates von den Bürgern aus ( Art. 20 GG). Das Wahl-Volk spendet seine Gunst nur auf Zeit und niemals auf Dauer den Regierenden. In manchen Verfassungen wurden die Staatsbürger vorsorglich entmündigt, indem die Staatsgründer oder Diktatoren die Demokratie ausgehebelt und festgeschrieben haben, dass ihrer Bürger nie mehr den Austritt aus dem Staatenbund frei wählen können, während sie den Beitritt jederzeit ermöglichen. Dann wird der gewaltsame Kampf um eine erneute Wahl darüber als "Rebellion" gebrandmarkt oder auch als "Hochverrat" verfolgt.
Das offensichtliche Faktum für jedes Urteil: Das Ergebnis freier Wahlen wird diskreditiert.
Die Zentralregierung des Königsreiches Spanien hatte die erste Abstimmung in Katalonien für ungültig erklärt, die Landesregierung abgesetzt und Neuwahlen angeordnet. Bei den freien und demokratischen Neuwahlen ging die bisherige Mehrheit erneut als Sieger hervor, doch die Zentralregierung verhindert durch politische Verfolgung von gewählten Abgeordneten die freie Wahl der (nicht gewollten) Mitglieder einer Landesregierung in Katalonien. Sie verhindert sowohl die erneute Wahl von Carles Puigdemont zum Präsidenten der Landesregierung als auch die Ausübung seines Mandates als gewählter Abgeordneter, indem sie ihn mit einem politischen Strafverfahren überzieht.
Rechtsgrundlagen für das Auslieferungsverfahren
Das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) reicht - bei seriöser richterlicher (und nicht regierungsgefälliger) Auslegung - zur Auslieferung des ehemaligen Präsidenten von Katalonien, Carles Puigdemont, nicht aus. Denn § 6 IRG bestimmt ausdrücklich, dass die Auslieferung einer politisch verfolgten Person unzulässig ist. Die gesetzliche Vorschrift lautet:
"(1) Die Auslieferung ist nicht zulässig wegen einer politischen Tat oder wegen einer mit einer solchen zusammenhängenden Tat. Sie ist zulässig, wenn der Verfolgte wegen vollendeten oder versuchten Völkermordes, Mordes oder Totschlags oder wegen der Beteiligung hieran verfolgt wird oder verurteilt worden ist.
(2) Die Auslieferung ist nicht zulässig, wenn ernstliche Gründe für die Annahme bestehen, daß der Verfolgte im Fall seiner Auslieferung wegen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Anschauungen verfolgt oder bestraft oder daß seine Lage aus einem dieser Gründe erschwert werden würde".
Im Hinblick auf § 3 IRG verstößt das Gesetz gegen den Grundsatz der Normenklarheit, weil die spanischen Gesetze nicht per fiktiver und willkürlicher Auslegung, ohne rechtsstaatlich saubere Gesetzgebung, in einen Vergleich mit den deutschen Gesetzen gezogen werden können. Insbesondere sind die gesetzlichen Vorschriften des 81 StGB über den Hochverrat gegen den deutschen Bund nicht mit den Vorschriften des Königreichs Spanien über die Rebellion vergleichbar und es fehlt bei freien Wahlen und politischen Kundgebungen am Erfordernis der Gewaltanwendung. Einen „Hochverrat“ in der Organisation einer freien Volkswahl zu sehen, wäre eine Hypothese, die nichts mit wahrer Demokratie zu tun hat.
Selbst wenn man im Hinblick auf das klare Auslieferungsverbot des § 6 IRG bei politischen Verfolgungen davon ausgehen würde, dass die behauptete Veruntreuung öffentlicher Gelder für das Referendum nicht im Zusammenhang mit der nicht auslieferungsfähigen politischen Tat stünde, käme eine Auslieferung im Hinblick auf § 11 IRG nur mit der Spezialität der Bedingung in Frage, dass eine Verfolgung wegen der politischen Taten untersagt bleibt. Es kann aber keinen vernünftigen Zweifel darüber geben, dass die Verwendung öffentlicher Mittel für die Durchführung eines Referendums eine Tat ist, die mit der politische Tat der (als illegal angesehenen) Wahldurchführung zusammenhängt.
Solange es in der Europäischen Union so kleine Staaten wie Luxemburg, Dänemark, Slowakei, Irland und Österreich gibt, muss man auch hinnehmen, dass es einen weiteren europäischen Staat Katalonien mit 7,5 Millionen Menschen und einer gewaltigen Wirtschaftskraft geben kann. Hier kann nicht die Bequemlichkeit der EU-Bürokratie siegen, sondern der freie Wille und das Selbstbestimmungrecht eines Volkes. Dass die stolzen Katalanen nur unter der Gewalt Francos Spanier werden mussten, zeigt ein Blick ins Geschichtsbuch!
Die Auslieferung aus deutscher Hoheitsgewalt ist auch keine Rechtsfrage, die feige auf den Europäischen Gerichtshof abgeschoben werden kann. Das kann und muss nach deutschem Recht beurteilt werden.
Salomonischer Kompromiss?
Der Streit zwischen dem Königreich Spanien und der autonomen Provinz Katalonien könnte durch einen Kompromiss über ein neues Wahlgesetz und eine Amnestie der politisch Verfolgten entschärft werden. Das Gesetz könnte ein neues und verbindliches, von allen Parteien anerkanntes Referendum über die Unabhängigkeit von Katalonien vorschreiben. Es sollte auch eine allgemeine Wahlpflicht für alle wahlberechtigten Bürger Katalonien enthalten. Denn der Austritt aus einem Staatenbund ist eine so essentielle Entscheidung, dass daran auch die bisherigen Nichtwähler mitwirken sollten. Bei Beteiligung aller Wähler kann unter Umständen auch ein Ergebnis für Spanien herauskommen. Das könnte den inneren Frieden per wahrhaftiger Demokratie bringen.
Autor: Werner Semmler